6 Edelkastanienwald

Castagneto

Adaptation von: P. Schildknecht & C.A. Burga, Geographisches Institut der Universität Zürich, 2008.

Castagneto

Kastanienrindenkrebs wird durch einen Pilz verursacht (Cryphonectria parasitica).

 

Bild: Museo cantonale di storia naturale

Castagneto
Castagneto

Die Kastanie ist ein Archäophyt, also eine exotische Pflanze, die vor 1500 durch menschlichen Einfluss in die Natur eingeführt wurde. Der ursprünglich aus Kleinasien und Nordafrika stammende Baum wird nunmehr als fester Bestandteil der einheimischen Flora betrachtet.

 

Illustrationen aus: Flora der Schweiz und angrenzender Gebiete; Band 1, 1967; Hess, Landolt und Hirzel, Birkhäuser Verlag (Springer Nature).

Castagneto

Teilweise gealterter Kastanien-Niederwald mit zahlreichen grossen Stämmen, die aus dem Stock ausschlagen.

 

Bild: Museo cantonale di storia naturale.

Auf den karbonatarmen Böden moränenartigen Ursprungs fällt die Dominanz der Kastanie auf, manchmal begleitet von anderen Baumarten wie Eiche und Birke. der in der Schweiz hauptsächlich im Tessiner Hügelgebiet vorhandene Kastanienwald entstand durch die menschlich verursachte Umwandlung des natürlichen Eichen- und Birkenwaldes. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts waren Kastanienbäume eine wesentliche Nahrungsquelle, und die Kastanie wurde zum Nachteil einheimischer Baumarten kultiviert.
Das Unterholz ist in der Regel spärlich, artenarm und von Pflanzen wie die Heidelbeere dominiert, die bodensaure Wälder bevorzugen. Es gibt zwei Hauptformen der Pflege und Nutzung des Kastanienhains: als Obstbaum (Kastanienselve) und als Niederwald. Die Kastanienselve wird in erster Linie für die Kastanienernte genutzt, während der Niederwald mit vorwiegend mehrstämmigen Bäumen für die Produktion von Brennholz und Pfählen bestimmt ist. Aufgrund des hohen Gerbstoffgehaltes vermodert Kastanienholz langsam und ist sehr widerstandsfähig gegen Insektenbefall. Es ist daher über die Zeit sehr gut haltbar, sowohl als Bauholz als auch als für die Herstellung von Pfählen (z.B. Weinbergpfähle). Diese Forstbewirtschaftung mit regelmässigen Rückschnitten nutzt die Fähigkeit der Kastanien, nach dem Schnitt stark auszutreiben. Dieser Stockausschlag entsteht, wenn die im Strunk schlafenden Knospen durch den Schnitt zum Wachstum angeregt werden.

Die Kastanienwälder des Monte Caslano wurden hauptsächlich als Niederwald bewirtschaftet. Da die Nutzung stark  zurückgegangen ist, sind die Bäume teilweise sehr alt geworden. Dies zeigen die hohen Stämme, die aus den Stümpfen gewachsen sind. Unter natürlichen Bedingungen oder Vernachlässigung der Bewirtschaftung ist der Kastanienbaum nicht sehr wettbewerbsfähig und kann langfristig durch andere Baumarten ersetzt werden.

 

Die Tessiner Kastanienpopulation wurde durch die Ankunft exotischer Parasiten geschwächt. Der Kastanienkrebs zum Beispiel wird durch den Pilz Cryphonectria parasitica verursacht, der zufällig um die Mitte des letzten Jahrhunderts aus Ostasien importiert wurde. Im Gegensatz zu den USA hat die Krankheit in Europa einen weniger dramatischen Verlauf. Dies dank der grösseren Resistenz der gemeinen Edelkastanie (Castanea sativa) gegenüber der Amerikanischen Kastanie (Castanea dentata) und infolge der spontanen Entstehung in Südeuropa von Pilzstämmen mit abgeschwächter Virulenz (Hypovirulenz). 2009 wurde ein weiterer Parasit eingeschleppt: die Kastaniengallwespe – ein in China heimisches Insekt. Diese Hautflügler verursachen die Bildung rundlicher Wucherungen (Gallen) an den Trieben und Blättern des Kastanienbaums, in denen sich die Larven entwickeln. Diese Gallen behindern das Wachstum von Ästen, Blättern und Früchten und bewirken eine allgemeine Schwächung der Pflanze. Inzwischen ist im Tessin aber auch ein Gegenspieler der Gallwespe aufgetaucht: die Schlupfwespe Torymus sinensis, die ebenfalls aus China stammt und als Nützling eingesetzt wird, um die Population der Gallwespe einzudämmen und deren schädliche Auswirkung zu verringern.

Fotos: 1, 3, 4: Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL / 2: Filippo Rampazzi